Smart Degrowth - Intelligent schrumpfen

von p.m.

Nach dem Einbruch von 2008 sind nun alle erleichtert, dass es aufwärts geht, und wir die Delle in der Wachstumskurve schon wieder ausgewetzt haben. Unsere Wirtschaftsweise beruht auf Wachstum, weil sie auf noch nicht eingelösten Versprechungen sitzt. Man sagt, dass die Realwirtschaft der Welt, ca. 60 Billionen Dollar, ungedeckte Schecks im Rahmen von 600 Billionen Dollar (die Summe aller Schulden und Finanzderivate) stemmen muss. Beide Summen wachsen weiter. Wenn das Wachstum ausbleibt, droht leider nicht nur ein sanftes Schrumpfen, sondern ein totaler «Vertrauensverlust», und das ganze Gebilde stürzt unkontrolliert und zerstörerisch ab.1 Die Pflege des Vertrauens durch alle Beteiligten, sozusagen der kollektive Wachstumsschwur, ist effektiv wichtiger als das wirkliche Wachstum, dies umso mehr, als niemand mehr weiss, was denn wirklich wächst (unter anderem sind es die Kosten – Externalitäten - für die Behebung der Schäden an Mensch und Natur, die das Wachstum verursacht). Auf jeden Fall tendiert das reale Wachstum schon einige Zahl gegen Null, und auch China wächst nur dank der Kredite und dem Fiat-Geld, mit denen der westliche Konsum gestützt wird.

Der Wachstumsglaube ist der einzige «Wert», der noch existiert. Flucht in «wahre Werte» ist illusorisch. Dinge, die scheinbar solid und werthaltig sind, wie Immobilien, entwerten sich schlagartig, wenn die potentiellen Mieter oder Besitzer ihre Jobs verlieren und die Mieten/Zinsen nicht mehr bezahlen können. Auch ein Rolls Royce ist nichts wert, wenn keine Käufer mehr da sind. Eine Aktie oder ein anderes Derivat schon gar nicht. «Wertvoll» sind nicht Objekte – auch wenn sie so imposant wie etwa der Prime Tower sind – sondern wertvoll ist die soziale Disziplin, die uns dazu bringt morgens um 7 aufzustehen und effektiv zum Arbeitsplatz zu gehen, Schritt um Schritt. All dies macht unsere Wirtschaftsweise zu einer sehr volatilen, ja fast spirituellen Veranstaltung, zu einer Form von Selbsthypnose: ich wachse, also bin ich.

Selbst die Wachstumskritiker unter uns sind heimlich froh, dass die Löhne gesichert und die Pensionskassen auf wundersame Weise saniert sind. Jedes falsche Wort könnte das Wachstum gefährden. Und darum redet man nun kaum mehr über die Postwachstumsgesellschaft. Oder man weist sogar darauf hin, dass solche Ideen aus der Sicht der sich gerade entwickelnden Länder des Südens eher als Auswüchse von Wohlstandsverwahrlosung gelten können.

Da bleibt nur das kleine Problem, dass wir mit dem durch die Finanzblase erzwungenen physischen Wachstum allmählich die Ressourcen des leider ebenso physischen (nicht des finanziellen) Planeten erschöpfen. 2013 hatten wir die ökologisch verantwortbare Ressourcennutzung schon im August erreicht, 2014 wird es wohl Juli. Der Rest des Jahres ist Abbau. Statt von den solaren Zinsen leben wir vom geologischen Kapital. Nicht nur der Tank wird immer leerer, auch der Auspuff macht Sorgen. In China erstickt man in den Städten. Das Klima bleibt gefährdet. Das Wachstum hat reale Risiken und Nebenwirkungen, doch auf den Arzt oder Apotheker hört schon lange niemand mehr.

Wir sind in der Klemme: wir sollten eigentlich das Wachstum bremsen, dürfen das aber bei Strafe eines katastrophalen Zusammenbruchs nicht tun. Die bisher einzig erfolgreiche Art Wachstum zu bremsen scheint die griechische oder portugiesische zu sein: dem unintelligenten Wachstum folgt ein ebenso unintelligenter Zusammenbruch. Was schrumpft, sind nicht nur Autoverkehr, Konsum usw., sondern leider auch die medizinische Versorgung, der öffentliche Verkehr, das Bildungswesen. Statt Übertreibungen und Auswüchse loszuwerden, fällt man direkt in die Armut.

Unsere Gesellschaft (ich rede da nicht nur vom Staat) hat keine Instrumente um die Wirtschaft gemäss intelligenten Vorgaben wie Ökologie, allgemeinem Nutzen, vernünftiger Verteilung, zu steuern. Es gibt keine echte Demokratie, das heisst keine Wirtschaftsdemokratie. Wir hätten ja in den siebziger Jahren sagen können: nein, diesen Autobahnwahnsinn machen wir nicht mit, wir behalten unsere Nahversorgung in den Ortskernen, stocken an Ort und Stelle die Gebäude etwas auf, optimieren den öffentlichen Verkehr, richten dort Arbeitsplätze ein, wo die Menschen schon sind. Das Modell Schweiz wäre genau so erfolgreich gewesen, es sähe einfach ein bisschen mehr aus wie Zürich2 (60% haben kein Auto) und weniger wie Niederwenigen. Man redet zwar von Smart Cities (gibt es auch dumme Städte?), Smart Density usw. aber was wir heute brauchen ist Smart Degrowth, ein kontrolliertes, intelligentes Schrumpfen, nicht einfach nur ein Reagieren auf die Kapriolen der Finanzwelt. Doch diese hat uns an der Gurgel gepackt und sagt: entweder ihr wächst brav, oder wir schlagen euch den ganzen Laden kaputt.

Wir könnten versuchen eine Lebensweise zu definieren, die durchaus komfortabel ist, aber weniger auf den Güterzuwachs und ungezielte Mobilität setzt. Dann kämen wir schnell auf die erforderlichen 2000 oder gar 1000 Watt herunter.3 Aber beim gleichen alten System zu bleiben und es nur hier und dort etwas effizienter zu machen (das Suchen nach Effizienz ist meist ein Indikator für ein hoffnungslos dysfunktionales System), wird nicht genügen. Von den heutigen 8000 Watt auf 2000 herunterzukommen, ist keine Sparanstrengung mehr, das ist eine Revolution! (Ausser man verschiebt den Zieltermin auf 2055 oder gar 2150, wie die SIA.) Smart Degrowth, das ist ein neuer Lebensstil, eine ganze Lebensphilosophie, ein Bruch mit dem Wachstumszwang. Sparen nützt nichts, wir müssten uns ganz anders fühlen und irgendwie anders «aussehen», smart eben. Und nicht dumb wie heute.

Doch dieses vernünftige Szenario ist nicht das realistische. Auch wenn wir es mit demokratischen Mitteln schaffen könnten die wahnsinnige Maschine zum Beispiel in der Schweiz zu bremsen, würde uns das nichts nützen. Unsere Wirtschaft ist längst mit der globalen Wirtschaft verwoben, unsere Immobilien sind eben nicht «unsere», sondern sie gehören Immobilienkonzernen, die weltweit operieren. Der republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney hat unter anderem deshalb verloren, weil es auskam, dass er Aktien von Swiss Prime Sites besass (die den Prime Tower gebaut hat). Investitionen in der Schweiz gelten in den USA als rufschädigend. Das Aussteigen aus der weltweiten Konkurrenz (dem «Mitrennen») stellt sich als globale Aufgabe. Wer zuerst und isoliert damit beginnt, den bestraft der Weltmarkt sofort (noch schneller als Gott).

Und dann wäre die Schweiz schnell ein zweites Griechenland. Das würde Armut und Hunger bedeuten. Vielleicht würde der nationale Ausverkauf etwas länger dauern als in Griechenland, weil wir doch ein bisschen mehr industrielle Substanz haben (denken wir nur an die Chemieindustrie). Aber im Prinzip würde sich die Schweiz rasant entwerten, und wichtige Importe wie Erdöl, Soja, Getreide usw. würden so teuer werden, dass wir keine sanfte Landung in der Postwachstumsgesellschaft, sondern einen Absturz ins Elend zu erwarten hätten. Wie in Griechenland würden die lebenswichtigen öffentlichen Dienstleistungen zusammenbrechen. Pensionskassen und AHV wären schnell pleite. Die Knappheit würde nicht zu Solidarität führen, sondern zu noch grösserer sozialer Ungleichheit und zu polizeilicher Unterdrückung des Protests der Betrogenen. Wer kann, würde das zentraleuropäische Albanien mitsamt Vermögen verlassen, bzw. zum Vermögen ziehen, das heute schon anderswo parkiert ist. Wir andern würden sehr unsmart hart auf dem Boden aufschlagen.

Die Occupy-Bewegung hat die globalen Zusammenhänge zumindest eindrücklich illustriert: unser Schicksal wird an der Wallstreet, nicht in Zürich oder Bern entschieden. Wobei die Wallstreet nicht nur für die New Yorker Börse steht, sondern für das weltweite Netz des Finanzkapitals. Es gibt keine Weltverschwörung, sondern nur das emergente Gesamtinteresse all jener, die Kapital besitzen, die also die Welt als Geldmaschine brauchen. Nur die Bremse zu ziehen ist keine brauchbare Strategie. Wir brauchen etwas Smarteres.

Mit einem andern Wachstum das Schrumpfen finanzieren

Bevor wir smart schrumpfen können, müssten wir es zuerst schaffen smart zu wachsen. Es ist durchaus möglich, die Produktion vom privaten Konsum weg zum kollektiven Konsum zu steuern. Gemäss Tim Jackson (ich nehme ihn hier als Beispiel für viele Autoren, die Ähnliches vorschlagen) müssten die Investitionen auf Kosten des Konsums verstärkt und zugleich in Güter des kollektiven Konsums umgeleitet werden: «Mit anderen Worten, in einer neuen ökologischen Makroökonomie muss sich die Balance zwischen Konsum und Investitionen ändern. Von der Nachfrageseite her ist das wohl kein grosses Problem. Eine Verschiebung zwischen C und I in der Gleichung (1)4 muss nicht notwendigerweise zu einer Reduzierung der Gesamtnachfrage führen. Sie würde lediglich die Bedeutung des Konsums als Wachstumstreiber verringern und sie durch eine gewichtigere Rolle der Investitionen ersetzen.» (S. 145)

Dieses Umschwenken ist allerdings eine heikle Sache, denn «wenn wir zu rasch schrumpfen, besteht die Gefahr, dass sich die Wirtschaft verlangsamt, und zwar derart, dass die für weitere Investitionen erforderlichen Ressourcen nicht mehr zur Verfügung stehen.» (S.145) Wir sägen uns den Ast ab, auf dem wir sitzen.

Er beschreibt hier genau das Dilemma der Smart Growth: Damit wir das Steuer herumwerfen können, müssen wir zuerst (fast) so weitermachen wie bisher. Ein ähnliches Dilemma besteht ja auch bei Vorschlägen wie dem garantierten Grundeinkommen: damit es finanziert werden kann, muss alles andere gleich weiterfunktionieren (ceteris paribus). Das heisst, das Grundeinkommen darf zu keinen Veränderungen im Arbeits- oder Konsumverhalten führen. Was mir ziemlich irreal erscheint.

Das Einleiten zuerst einer Smart Growth (die vielleicht dann ein bisschen so aussieht wie die von den Grünen vorgeschlagene Kreislaufwirtschaft) ist keine blosse Frage von vernünftigen Prinzipien und des politischen Willens, sondern benötigt eine raffinierte Feinsteuerung durch ein prekäres «Nachhaltigkeitsfenster» hindurch. Es darf nicht zu langsam und nicht zu schnell passieren. Zudem muss die neue Investitionswelle durch Sparen und nicht durch Schulden finanziert werden, wenn wir nicht wieder einen finanzwirtschaftsbedingten Wachstumszwang schaffen wollen. In der Schweiz ist das kein Problem, weil wir sowieso zu viel sparen. Dazu kämen noch die 800 Milliarden Pensionskassengelder. Wie aber können wir die Menschen dazu bringen, weniger individuell zu konsumieren? Wer macht die nötige Feinsteuerung? Was machen wir, wenn das Fenster sich wieder schliesst?

Die Investitionsbereiche, die Jackson aufführt, sind nicht gerade aufregend oder überraschend: Energieeffizienz, saubere Technologien, Umweltschutz (S. 146). Auch die übrigen Bereiche wie öffentliche Verkehrsmittel, öffentliche Räume, Gebäudesanierung usw. (S. 180) sind zwar notwendig und offensichtlich, versprechen aber noch keine faszinierende neue Lebensweise. Es gibt heute schon verschiedenste Förderprogramme in diesen Bereichen (z.B. Fabi). Er geht nicht tief genug.

Jackson redet zwar davon, dass wir anders leben, reisen, mehr zusammen tun und unseren Extremindividualismus überwinden sollten. (S. 202/203) Aber schliesslich endet er bei einem ziemlich lahmen Aufruf zu freiwilliger Askese: «Der Versuch, ein frugales, freiwillig einfaches Leben zu führen, ist bedenkenswert.» (S. 203) Wir wissen, dass solche Aufrufe nichts fruchten und sogar von einem effektiven gesellschaftlichen Einsatz ablenken: Ich mach ja schon alles richtig, nun brauch ich keine Politik mehr. Jackson sieht das zwar auch ein, und sagt: «Schliesslich gilt es, die gefährliche gesellschaftliche Logik des Konsumismus zu überwinden.» (S. 203)5 Aber womit? Worin besteht das bessere Angebot, die bessere Logik?

Immer ausgehend von der Überwindung des Konsumismus schlägt Jackson vor unseren Wohlstand weniger materiell zu definieren. Mehr öffentliche Güter, mehr gemeinschaftliches Teilen, kurz: mehr Commons, das sind seine Vorschläge. «Einige der Bausteine für die neue gesellschaftliche Teilhabe sind Grünanlagen, Parks, Freizeitzentren, Sportanlagen, Büchereien, Museen, öffentliche Verkehrsmittel, regionale Märkte, Orte der Einkehr, «Ruhezentren» und Festivals.» (S.193) Gegen diese typisch englische Vision einer grünen Stadt lässt sich nicht viel einwenden, ausser dass sie seltsam fad ist. Woher kommt dieses Klinikhafte? Der Haken bei all dem ist eben, dass auch die nun zwar gemeinschaftlich geniessenden Menschen immer noch keinen Zipfel von realer wirtschaftlicher Souveränität in den Händen halten. Nach wie vor sind es die Unternehmer, die globalen Konzerne, die die neue, stagnierende, ökologische Wirtschaft betreiben sollen.

Der diskrete Charme der Wirtschaft – wem nützt das «System»?

Es lassen sich makroökonomische Regulierungen vorschlagen, die ökologisch kompatibel sind. Die Frage stellt sich, warum das nicht längst geschehen ist. Warum ist die Wirtschaft nicht spätestens seit den siebziger Jahren auf einen solchen Pfad eingeschwenkt, etwa gemäss den Konzepten von Herman Daly?6 Der Grund besteht wohl darin, dass es Wirtschaft als losgelöstes System gar nicht gibt. Wirtschaft hat zwei Gesichter: einerseits ist sie als gesellschaftlicher Metabolismus quantitativ analysierbar, andererseits ist sie ein Verfahren, das Menschen benützen um Menschen auszurauben, zu unterdrücken und dumm zu halten. Die Wirtschaft hat eine Vergangenheit.

Kapitalismus ist real eine Kombination von Genealogie und verewigter Ungleichheit. Die Profiteure dieser Ungleichheit, die berühmten 500 oder 1000 Familien, haben kein Interesse daran alle Menschen mit allem Nötigen zu versorgen und die Natur zu bewahren. Sie sehen «ihre Wirtschaft» nicht einfach als «unsere» öffentliche Dienstleistung. Sie wollen und müssen ihre Position bewahren. Dafür setzen sie beträchtliche Mittel für eine Politik ein, die ihnen dient (darum kam es eben in den siebziger Jahren zu keiner ökologischen, sondern zu einer neoliberalen Wende). All das bedingt noch nicht, dass die Wirtschaft wachsen muss, denn schliesslich könnten die Reichen auch einfach immer gleich reich bleiben und damit zufrieden sein. Der Wachstumszwang entsteht aus der Konkurrenz, die Grösse belohnt, weil sie Economies of Scale, höhere Produktivität, effektivere Kostenstrukturen (z.B. in der Werbung, der Entwicklung) und daher «neue Märkte» bringt. Wer nicht wächst, überlebt nicht. Es ist nicht Gier, die immer grössere Vermögen anhäuft, sondern der Zwang der Konkurrenz. Wir haben es hier mit einer pfadabhängigen strukturellen Eigenschaft des Kapitalismus zu tun. Daher kommt es, dass sogar die Profiteure dieses Systems, wie z.B. extrem gute bezahlte CEOs, Selbstmord begehen.7 Um eine wirklich ökologische Wirtschaft als reine Menschenversorgungsorganisation betreiben zu können, müsste man also die globalen Oligarchien enteignen können. Da man das nicht kann, versucht man halt ökologische Unternehmen zu postulieren, also an die Einsicht der Kapitaleigner zu appellieren. Das sind ja nicht nur die bösen Kapitalisten, sondern auch wir selbst, zum Beispiel als Mitbesitzer von Pensionskassenkapital: allerdings sollten wir hier den Sinn für Proportionen nicht verlieren. Zwischen Warren Buffetts Vermögen und meinem Pensionskassenkapital klafft da doch eine gewisse Lücke.

Teilweise kann das funktionieren, weil das Eigeninteresse der berüchtigten 1%8 durchaus darin besteht keine allzu grossen Verwerfungen und nicht allzu viele Anlässe für Aufstände aufkommen zu lassen. Damit sie Angst vor Rebellionen haben können, muss es diese allerdings auch geben. Occupy war da eine kleine Streifung, die sich verstärkenden globalen urbanen Aufstände werden weitere Impulse für ein Umdenken liefern. Ob sich die Aufständischen aber mit ein paar Grünlagen und Museen (wer braucht heute noch Büchereien?) zufrieden geben werden, ist fraglich. Es wäre sogar verhängnisvoll, wenn dies der Fall wäre. Wir müssen mehr wollen.

Jede Wirtschaftsweise, sogar der Kapitalismus, beruht auf der spontanen, ja gutmütigen, Kooperation von Menschen. Dank eines historischen Vorsprungs (Akkumulation von Handelskapital schon in der frühen Neuzeit) hat es eine Klasse von Unternehmern geschafft diese Kooperation für sich arbeiten zu lassen.9 Mit dem überall erzwungenen Tausch von Äquivalenten (Markt) und dem Lösungsmittel Geld gelingt es, Gewinn aus der gesellschaftlichen Kooperation herauszulösen (die Analogie mit dem Fracking kommt einem hier in den Sinn) und eine sich selbst perpetuierende und expandierende Welteroberungsmaschine zu bauen.10 Kooperation soll nur durch die Vermittlung von Unternehmern und mit Markt/Geldmechanismen möglich sein. Expansion bedeutet, dass auch die letzten Formen von selbstbestimmter sozialer Kooperation zerstört oder in Märkte umgewandelt werden müssen. Subsistenzgesellschaften werden mit Mikrokrediten aufgelöst, Solidarität wird durch Stakeholdertum ersetzt. Jede Form von struktureller Individualisierung bedeutet eine Entmachtung der autonomen Kooperation und verwandelt die Menschen in ausgesetzte Marktatome. Der Konsumismus hat direkt mit dieser Isolation und Machtlosigkeit zu tun, denn er ist wesentlich Komfort, also «Trost» (die eigentliche Bedeutung von Komfort) über das verlorene echte Leben, die kooperative Souveränität.11 Wer nicht real dazugehören kann, kann wenigstens zu einer Mode, einer Marke, oder einem Logo gehören (oder, was heute wieder virulent ist: zu einer Nation, dem Logo der Logos). In einem gewissen Sinn sind heute auch Religionen Konsumdienstleistungen geworden. Wo keine wirkliche Identifikation mit Leben und Arbeiten mehr besteht, floriert das Identitätsgeschäft.

Das Gegenmittel gegen das Lösungsmittel Markt/Geld ist das Koagulationsmittel «neue Commons». Wo immer Menschen sich zusammentun um Teile ihres Lebensunterhalts durch selbstbestimmte Zusammenarbeit zu erbringen, schrumpft der Markt, schrumpft letztlich, wenn man es makroökonomisch hochrechnet, der Kapitalismus. Es wäre allerdings unsinnig Koagulation als allgemeines Prinzip vorzuschlagen, denn damit würde man riskieren, dass die gesamte Gesellschaft geliert und erstarrt. Eine stagnierende Wirtschaft soll ja nicht einfach Erstarrung bedeuten, sondern eine andere Entwicklung12 ermöglichen. Es kommt also darauf an, genau zu sagen, was neu koagulieren, und was im Fluss bleiben soll. Mit Quanten und Materialflüssen allein lässt sich kein funktionierender und egalitärer gesellschaftlicher Metabolismus beschreiben: es braucht auch eine Definition von Organen.

Wie in der Resilienzforschung vorgeschlagen muss dieser Metabolismus modular gestaltet sein. Diese Module der selbstbestimmten Kooperation sind zugleich gesellschaftliche Einheiten (Konsumgemeinschaften, Lebensgemeinschaften) und politische Institutionen (die Macht soll hier persönlich und nicht systemisch/anonym situiert sein). Ein Postwachstumsprozess ist notwendigerweise ein Prozess der Machtaneignung (empowerment) über materielle und immaterielle Güter, das heisst deren Verwandlung in modular artikulierte Commons. Es ist ein politischer Prozess und er wird als solcher von den heutigen Wirtschaftseliten auch erkannt, denunziert und bekämpft.13

Was heisst da «smart»?

Das erste und fundamentale Modul der Commons muss sich mit einer neuen Ernährungslogistik befassen.14 Es ist interessant, dass sich Tim Jackson kaum mit diesem Grundelement einer echten gesellschaftlichen Souveränität befasst: Lebensmittel gehören bei ihm einfach zu einer zwar frugalen, aber von irgendwelchen ökologischen Unternehmen erbrachten Versorgung. Dabei ist es naheliegend und logisch ein alltagsnahes Grundmodul gerade auf der neuen Verknüpfung von Stadt und Land zu begründen.15 Die aktuellen urbanen Aufstände sind daher begleitet von der auf den ersten Blick seltsamen Bewegung des urban gardening. Es ist selbst den begeistertsten Urban Gardeners klar, dass man mit ein paar Pflanzblätzen auf Stadtbrachen die Bewohner nicht wirklich ernähren kann (mehr als 10 % liegen wohl nicht drin). Doch das ist nicht der Punkt: mit diesen pseudoruralen Aktivitäten soll demonstriert werden, dass es ihnen mit der Ernährungssouveränität ernst ist, und dass die neuen kooperativen Module genau darauf gegründet werden müssen. Man muss sich die Hände schmutzig machen um das ganze kapitalistische Gewebe von unten her aufzulösen.

Wenn man von intelligentem Schrumpfen reden will, dann vermischen sich systemische Überlegungen (Makroökonomie) mit strategisch-politischen. Makroökonomie ist letztlich nur die Aufaddierung von Mikroökonomien. Tim Jackson unterstreicht daher immer wieder die Bedeutung des individuellen Konsumverhaltens für makroökonomische Kreisläufe. Eine Ablösungsstrategie kann man sich folglich als Aufaddierung von antiökonomischem Mikroverhalten vorstellen. Es ist in der Tat so, dass kooperative Organisationen an der Basis die gesellschaftliche Resilienz stärken, als Vorbereitung auf die unvermeidlich auf uns zu kommenden Verwerfungen. Im Fall von Griechenland ersieht man, wie tragisch es ist, wenn solche Initiativen erst entstehen, wenn der makroökonomische regionale Kollaps schon erfolgt ist. Erst jetzt hören wir von der «Kartoffelrevolution», also von Konsumentenkollektiven, die Kartoffeln direkt von den Bauern beziehen, statt frustriert in Supermärkten Schlange zu stehen.16 Auch diese Initiativen bewegen sich noch in marktwirtschaftlichen Kategorien, es wird einfach der «Mittelsmann» ausgeschaltet. Immerhin: dadurch wird die Geldwirtschaft partiell umgangen, und es entstehen selbstbestimmte Koagulationen. Der Kapitalismus ist ja nichts anderes als der omnipräsente Mittelsmann. Es ist nur theoretisch denkbar, dass die globale Wirtschaftsmaschine einfach durch Myriaden von lokalen Stadt/Land-Modulen aufgelöst werden könnte. So wichtig die Ernährung real und taktisch ist, so wenig wichtig ist die Landwirtschaft rein makroökonomisch gesehen. In der Schweiz machen die Lebensmittelausgaben kaum 7 % eines Haushaltsbudget aus. In vielen Ländern wurde die Landwirtschaft wegen ihrer geringen Rentabilität, und weil eine Produktivitätssteigerung wegen der Abhängigkeit von natürlichen Faktoren begrenzt ist, parktisch verstaatlicht und aus dem normalen Wirtschaftskreislauf herausgenommen. Diese staatswirtschaftliche Insel behindert die normale Akkumulation von Kapital kaum. Sie hat bis jetzt keine systemische Sprengkraft entfaltet. Direktbelieferungsinitiativen werden daran kaum etwas ändern, aber sie könnten indirekt eine politische Bedeutung bekommen, weil sie die Abhängigkeit von der formellen Wirtschaft schwächen, neue kooperative Kerne bilden, und eine nicht-konsumistische Lebensweise als reale Aktivität begründen (und das nicht nur in Parks und Museen).

Diese Initiativen allein werden keine sanfte Landung nach dem Kollaps garantieren – sie sind noch nicht das Rezept für Smart Degrowth. Smart heisst, dass wir jenen gesellschaftlichen Mächten (mit den Aspekten «Familien» und «systemische Mächte»), die heute die globale Wirtschaft bestimmen, einen Übergangsdeal vorschlagen können, ein schmerzloses Ausstiegsszenario, das keine allzu grossen Disruptionen verursacht. Grosse ideologische Aufregung kann dabei nur schaden. Es wird eher darum gehen einen Kapitalismus zu entwickeln, dem man seine unheimliche Geschichte nicht mehr anmerkt. Eine Generalamnestie ist notwendig. «Kann man das noch Kapitalismus nennnen? Spielt das überhaupt eine Rolle? All denen, für die es eine Rolle spielt, könnten wir in Anlehnung an Mr. Spock in Raumschiff Enterprise sagen: ‹Es ist Kapitalismus, Jim. Aber nicht so, wie wir ihn kennen.›» (Jackson, S. 201) Wenn von einer Cheshire-Katze nur noch das Grinsen übrig bleibt, ist es dann noch eine Katze?17

Die Sprache, in der diese seltsame Transformation abgehandelt werden kann, ist die der nüchternen Makroökonomie. Wir gehen von den inneren Widersprüchen aus, mit denen selbst die hartnäckigsten Verfechter der freien Marktwirtschaft, so wie wir sie kennen, konfrontiert sind, und bieten eine Lösung an. Inzwischen haben sich doch einige dogmatische Positionen aufgeweicht, wenn wir etwa an die Bankenrettungen und die staatlichen Initiativen in «systemrelevanten Branchen» denken, die nach 2008 erfolgten. Eine wirtschaftliche Rolle des Staates ist kein Tabu mehr. War es eigentlich nie – nur wollen das neoliberale Dogmatiker nicht wahr haben.

Wir tun so, als ob wir es mit einer rein rationalen «Wirtschaft» zu tun hätten – sie tun so, als ob wir rein rationale Lösungen für die ökologischen und sozialen Probleme liefern würden, die diese Wirtschaft mit sich bringt. Intelligent heisst hier also doppelzüngig. Es geht nur darum smart auszusehen, nicht darum wirklich intelligent zu sein, denn sonst hätten wir schon lange damit aufgehört. Schliesslich läuft es wohl darauf hinaus, dass wir, angeregt durch staatliche Programme und Regulierungen, mehr ökologische Investitionen tätigen und so die Wirtschaft effektiv allmählich in eine öffentliche Dienstleistung verwandeln (mehr I statt C; siehe S.3 unten). Zugleich schaffen wir mit Initiativen von unten und mit politischen Aktionen Commons-Institutionen, die uns reale materielle Souveränität geben und eine transkapitalistische Gesellschaft begründen. Dadurch wird erst echte Demokratie möglich werden. Eine Kombination des globalen urbanen Aufstands, der oft noch in Gemeinplätzen wie Freiheit und Demokratie stecken bleibt, mit einem makroökonomischen Transformationsmodell könnte der Deal sein, der allen einen eleganten Ausstieg und eine sanfte Landung bietet. Die Ausrüstung der neuen Module (Nachbarschaften, Quartiere) mit kooperativen Infrastrukturen (von energietechnischen Umbauten bis Grosswaschmaschinen und IT-Plattformen) könnte noch einmal die Konjunktur retten, bevor dann ein sanfter Abschwung einsetzt. Ob dieses Happy End sich weltweit durchsetzt, ist weniger von Einsicht und Logik abhängig, als von der Überzeugungskraft der Bewegungen, die sich auf dem Territorium und namentlich in den Städten persönlich dafür einsetzen. Wenn dem Kapitalismus zuerst die Konsumenten, dann die Arbeiter und schliesslich die Polizisten davonlaufen, dann kann alles noch gut werden. Für alle Beteiligten.

Ein neuer New Deal für die Schweiz?

Die Idee, dass der Kapitalismus in seine eigene Überwindung investiert, ist nicht so absurd und neu, wie es klingt. Von einem hegelianischen Standpunkt aus kann es gar nicht anders sein: »Die Zukunft ist hegelianisch,» versichert uns jedenfalls Slavoj Zizek.18 Auch Keynes beabsichtigte mit seinen Konzepten das wirtschaftliche Problem los zu werden um sich endlich spannenderen Dingen zuwenden zu können (Kunst, Religion, Wissenschaft). Mit Schumpeters «kreativer Zerstörung» könnte ja auch einmal der Kapitalismus als System selbst gemeint sein, wonach dann etwas «anderes» käme.19

Wie ein Übergang zu einer sanft vor sich hin schrumpfenden Wirtschaft im Falle der Schweiz aussehen könnte, habe ich in Neustart Schweiz (Zeitpunkt, 2010) aufzuzeigen versucht. Im Prinzip geht es darum genau das zu tun, was Tim Jackson vorschlägt: Konsumausgaben zu reduzieren und die dadurch gewonnenen Kapazitäten in Infrastrukturinvestitionen (im Inland und Ausland) umzuleiten. In diesem Fall wären das vor allem Investitionen in ökologisch zukunftsfähige und sozial integrative Nachbarschaften, eben in jene Module, wo der Konsum heute grösstenteils passiert. Damit würde der eiserne Käfig des Konsumismus sozusagen in seinem Kern gesprengt. Und zugleich würden jene Commons-Module geschaffen, die die gesellschaftliche Kooperation wieder in die Hände der ganzen Gesellschaft zurücklegen, und zwar von der Alltagsbasis aufwärts bis zu den ausgebauten öffentlichen Dienstleistungen. Damit würde aus einen schlecht gemangten Kommunismus ein gut gemanagter.20 Wachstumstreiber wie Konkurrenz, Vermögenserhaltung usw. entfallen ganz.

Im Unterschied zu einer rein quantitativen Umlagerung im BIP steht hier ein qualitatives Ziel im Vordergrund: das Leben soll wirklich anders werden.

Der neue Swiss Deal lässt sich auf drei Elemente reduzieren:

  1. Senkung der Lebenskosten durch:
    1. integrierte Lebensweise in kooperativen Nachbarschaften
    2. regionale Lebensmittelversorgung auf der Basis von Direktbelieferungen
    3. Siedlungsumbau
    4. Vereinfachung der Verwaltungsstrukturen
  2. Allgemeinbildung und optimale Berufsausbildung für alle
  3. Verwendung des Überschusses für Investitionen im Inland und für weltweite Aktivitäten zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Ärmsten

Diese drei Elemente bedingen sich gegenseitig und auf keines kann verzichtet werden.

  1. Kooperative Nachbarschaften sind die neuen Haushalte, die dank ihrer Infrastruktur eine bessere Ausnutzung von Ressourcen erlauben: teilen statt besitzen. Sie sind zudem die einzig effizienten Partner für eine Lebensmittelversorgung, die ohne Grossverteiler und Shoppingcenter auskommt und auf der direkten Zusammenarbeit mit Bauernhöfen der Umgebung basiert. Daraus resultieren billigere Nahrungsmittel. Kooperative Nachbarschaften lösen einen Rückbau unserer Streusiedlungen zu verdichteten, multifunktionalen Zentren aus, was das Verkehrsaufkommen drastisch reduziert. Die Vereinfachung der Verwaltungsstrukturen wird erreicht durch den Umbau zu nur noch etwa fünfhundert Basisgemeinden, sieben Regionen und einer schlanken Zentralverwaltung für alle landesweiten Belange. Die Reduktion der Konsumausgaben wird möglich ohne Wohlstandseinbusse.21
  2. Umfassende Allgemeinbildung mit anschliessender Berufsausbildung auf höchst möglicher Stufe für alle, ist notwendig, weil nur eine Gesellschaft, die auf absoluter Chancengleichheit aufgebaut ist, überhaupt gemeinsam handlungsfähig ist und nicht wieder in Sondergruppen zerfällt. Die neue Lebensweise braucht selbständig denkende, sich als gleichwertig verstehende Bürgerinnen und Bürger. Wenn die Menschen weniger von materiellem Konsum abhängig sein sollen, dann braucht es ein grösseres soziales und kulturelles Kapital um sich nicht zu langweilen. Auch Investitionen in Bildung haben schliesslich einen ökologischen Effekt. Zudem senken sie die Geburtenrate.
  3. Wenn die Lebenskosten sinken, können auch Löhne ohne Wohlstandseinbusse gesenkt werden. Mit den daraus resultierenden Einsparungen können einerseits langfristig wirksame ökologische Infrastrukturinvestitionen getätigt werden (mehr I gemäss Jackson), andererseits für bedürftige Weltregionen zum Beispiel Medikamente verbilligt, Hilfsaktionen finanziert und langfristige Entwicklungsprojekte angepackt werden. Nur in einer sicheren Welt gibt es auch eine sichere Schweiz. Die Exporte (X in der BIP-Formel) können zunehmen und das Schrumpfen von C zusätzlich kompensieren. Der ökologische Umbau unserer Wirtschaft und die Unterstützung eines ökologischen Entwicklungspfads weltweit gehen Hand in Hand.

Die Schweizer Arbeitnehmer verdienten 2012 362.313 Milliarden Franken. Darunter sind auch Arbeitnehmer wie Grübel und Vasella, aber die fallen trotz aller populistischer Empörung nicht wirklich ins Gewicht. Wenn man ihre Einkommen auf die Bevölkerung verteilen würde, reichte es nicht einmal für einen anständigen Cocktail.

Zudem sollten wir die gute Nachricht nicht übersehen, dass wir 96,28 Prozent «Armen»22 immerhin 45,9 Prozent, oder 454,4 Milliarden, des gesamten Vermögens besitzen. Mit so viel Geld lässt sich doch einiges anfangen, wenn wir nur wollen. Und das, ohne einen einzigen Villenbesitzer zu enteignen.

Wie viel Geld steht uns zur Verfügung, wenn wir unsere Lebenskosten senken und vielleicht noch auf ein paar überflüssige Produkte verzichten, die keinen direkten Einfluss auf die Lebensqualität haben? Allein bei den Nahrungsmittelkosten gibt es heute schon ein Sparpotenzial von zwölf Milliarden. Wenn wir alle weiter oben erwähnten Spareffekte mit einbeziehen, so dürfte es mittelfristig möglich werden, dreissig Prozent unseres Einkommens, also immerhin rund hundert Milliarden Franken pro Jahr, für andere Aufgaben frei zu machen. Davon gehen – wie jetzt schon – Steuern und Abgaben weg. Zudem müssten einige Umlagerungen zu Gunsten der niedrigsten Löhne vorgenommen werden, damit Solidarität überhaupt zustande kommen kann.

Die Senkung der Lebenskosten kann nicht abrupt erfolgen, weil die neuen Strukturen allmählich aufgebaut werden müssen und Investitionen erfordern. (vgl. Feinsteuerung)

Dieser neue New Deal läuft im Grunde auf einen Pakt mit den global gesehen produktivsten Branchen – Pharma, Banken und Maschinen – hinaus: Wir geben euch unsere Arbeit billiger, qualifizieren uns besser, dafür lasst ihr uns freie Hand, uns selbst besser zu organisieren. Und ihr garantiert uns, dass der Zusatzprofit, der aus der Senkung der Personalkosten resultiert, nicht in eure Taschen wandert, sondern in einen Neustart-Fonds eingespeist wird, aus dem verbilligte Produkte, weltweite Hilfsprogramme und der Infrastrukturumbau im Inneren finanziert werden (also: von C zu I). Wie alle echten Deals ist auch dieser hochriskant.

Insgesamt ist dieser Deal «kostenneutral», auch wenn es phasenweise Investitionsschübe geben wird, die vorfinanziert werden müssen – da kämen dann «unsere» Banken23 ins Spiel. Er ist auch «interessenneutral»: Die Profite der Unternehmen werden nicht tangiert, der Lebensstandard der Arbeitenden wird nicht gesenkt, nur verändert. Die Glücksforschung hat herausgefunden, dass das «subjektive Wohlbefinden» ab einem gewissen Einkommensniveau nicht mehr geldabhängig ist. Mit 40’000 Franken pro Kopf und Jahr ist die Schweiz weit über dieser Schwelle, mit 27’000 Franken wäre sie es immer noch (vgl. Wilkinson).

Wie der New Deal der dreissiger Jahre in den USA wird auch der neue Deal ein Resultat von Verhandlungen zwischen Arbeitnehmern, Arbeitgebern und dem Staat (selbst ein grosser Arbeitgeber) sein müssen. (Der Green New Deal, wie er von grünen Parteien vorgeschlagen wird, ist nur eine Forderungsliste. Bei einem echten Deal geht es aber um Geben und Nehmen.) Ging es damals im Wesentlichen darum, Produktivitätsgewinne zwischen den Sozialpartnern zu teilen («die Früchte des Wachstums zu teilen», wie die SPS es heute immer noch will), so geht es heute darum, eine allgemeine Strukturreform und eine effiziente Hilfe für die Ärmsten der Welt zu ermöglichen, also unsere beiden brennendsten Probleme endlich zu lösen.

Wir könnten bei uns selbst das tun, was wir den armen Ländern empfehlen: Teilen statt Vermarkten, Regionalversorgung, Ernährungssouveränität, demokratische Selbstaktivität usw. Es kann auf die Länge nicht zwei Lebensweisen - eine komfortable für uns und eine bescheidene für die Ärmeren - geben.

Die Modalitäten des neuen Swiss Deals müssten im Detail noch ausgehandelt werden. Vor allem muss sichergestellt werden, dass die Senkung der Lebenskosten nicht einfach die Profite der Unternehmen erhöht. Das könnte dadurch geschehen, dass den Arbeitnehmern die vollen Löhne ausbezahlt werden, ein Teil davon aber mit einem Abzug analog zur AHV in den Neustart Fonds fliesst (siehe unten). Die Arbeitnehmer können kollektiv sparen, weil sie weniger ausgeben müssen. Doch auch Risiken und Nebenwirkungen sollten bedacht werden: So resultiert eine gewisse Schrumpfung der Nachfrage im Binnenmarkt, die allerdings durch eine Verbilligung des Angebots (auch die Löhne für den Binnenmarkt sinken) und mehr Exporte ausgeglichen wird. (siehe: Fine-Tuning à la Jackson)

Wenn wir vorsichtig vorgehen könnte ein solcher New Deal auch isoliert in der Schweiz zumindest in einer bescheidenen Beta-Version so angegangen werden, dass nicht gerade das globale Kapital über uns herfällt.

Um unserer Isolation vorzubeugen, habe ich analoge Deals für die USA (The Power of Neighborhood and the Commons, New York, 2014), Deutschland (Kartoffeln und Computer, 2012), Europa, oder die Welt vorgeschlagen. Realistischerweise müsste die Smart Degrowth sowieso in den USA beginnen. Sowohl Juliet Schor wie Gar Alperovitz, aber auch David Graeber, beschreiben eine breite Ausstiegsbewegung in den USA. Wenig hört man aber diesbezüglich aus Ländern wie Afghanistan, Nordkorea, dem Sudan oder der Zentralafrikanischen Republik. Trotz der globalen Zwänge könnte die Schweiz ein Stück weit in diese Richtung gehen ohne gleich böse schlafende Hunde zu wecken. Man hält uns sowieso für einen komischen Sonderfall. Vielleicht werden wir aber auch wieder die letzten sein. Auf jeden Fall gilt: je niedriger das Profil umso besser.

Wenn es klar ist, in welche Richtung es gehen soll, dann können mehrheitsfähige Lösungen ausgehandelt werden. Wenn also in einem ersten Jahr von den Arbeitnehmereinkommen drei Prozent in den Fonds einbezahlt werden (das ergibt etwa 11 Milliarden), dann gehen davon ein Prozent an die Unternehmen (für gemeinsam beschlossene Projekte), ein Prozent in die Infrastrukturhilfe im Süden und ein Prozent in den ökologischen und sozialen Umbau von Nachbarschaften, Quartieren und landesweiten Institutionen in der Schweiz. Dieser Umbau bewirkt wiederum eine Senkung der Lebenskosten und erlaubt weitere Einlagen in den Fonds. Und so weiter.

Die Umlagerung von privaten Konsumausgaben zu Investitionen in öffentlich/kollektive Nutzungen könnte mit einer progressiven Zusatzsteuer bewerkstelligt werden. Doch wenn wirklich die Idee eines New Swiss Deals umgesetzt werden soll, dass ist es sinnvoller, wenn ein gesonderter Fonds angehäuft wird, der paritätisch von Staat/Gewerkschaften/Unternehmern verwaltet wird.24 So sind Transparenz und direkte Mitwirkung und Kontrolle besser möglich. Der New Swiss Deal Fonds wird ein definiertes Ziel haben und verschwinden, sobald dieses erreicht ist. Wenn Nachbarschaftsprojekte aus diesem Fonds unterstützt werden, dann spüren die BürgerInnen direkt, wofür ihre Lohnabzüge verwendet werden. Das Geld landet nicht in einem anonymen Topf. Überdies belohnt das Programm des New Swiss Deal jene aktiven BürgerInnen, die sich für ihre Nachbarschaftsprojekte einsetzen. Er bietet einen Anreiz zum selbständigen Handeln und «bestraft» all jene, die sich nur als passive Konsumenten verhalten.

Welche politischen Akteure?

Wenn wir von dem oben skizzierten New Swiss Deal ausgehen und uns fragen, welche politischen Akteure für seine Umsetzung in Frage kommen, dann stehen wir ziemlich dumm da. Die SP will keine Lohnreduktionen, die Unternehmer wollen keine zusätzlichen staatlichen Eingriffe, es gibt ideologische Denkverbote (Marktwirtschaft als Dogma, Primat des Privateigentums usw.). Alle zusammen wollen Wachstum. Am ehesten sollten sich die Grünen für eine öko-soziale Wende erwärmen können. Auch die Bauern hätten nur Vorteile, wenn die Mittelsmänner ausgeschaltet werden (Grossverteiler). Wenn man den Gewerkschaften klar machen kann, dass die Lohnkürzungen durch die Senkung der Lebenskosten und einen verstärkten Einfluss auf die Investitionspolitik kompensiert werden, dann sollten auch sie zustimmen können. Natürlich gibt es Verlierer: die Autoindustrie, der Versandhandel, die Elektronikbranche, der Detailhandel, mittelfristig die Bauindustrie. Da die Umstellung graduell erfolgen kann, können jedoch allzu grosse Verwerfungen vermieden werden. Der Verlust von Arbeitsplätzen kann mit neuen Arbeitsplätzen in der Nachbarschafts- und Quartierlogistik und mit Arbeitszeitverkürzungen aufgefangen werden.25 Für die Entwicklung und Herstellung einer neuen «intermediären», «konvivialen» und ökologischen Technologie für erweiterte Hauswirtschaft, mittelgrosse Landwirtschaft und gemeinsame Lebensmittelverarbeitung ist die schweizerischen Metall- und Maschinenindustrie (noch) ausgezeichnet aufgestellt – diese Produkte könnten und sollten globale Exportschlager werden. Hier hilft Wachstum der Entwicklung.

Das Hauptproblem bei diesem Vorschlag dürfte darin bestehen, dass eine tiefgreifende Veränderung unserer Lebensweise, unseres Alltags und unseres Umgangs mit unseren NachbarInnen beabsichtigt ist. Wenn wir jedoch wirklich mehr kollektiven Konsum (und daher seine mengenmässige Reduktion) wollen, dann braucht es dafür neue Konsumfoyers, eben eine neue Alltagslogistik. Wir würden es wohl vorziehen, wenn wir unser neues Leben kühl reguliert bekämen und ansonsten in Ruhe gelassen würden: ein paar Ökoabgaben hier, eine Preiserhöhung da, ein paar neue Verordnungen und Gebühren, kurz: Politik as usual. Das wird jedoch nicht gehen. Es wird mehr Verbindlichkeiten im Alltagsleben brauchen, mehr Sitzungen (gemildert durch IT-Plattformen), mehr Kommunikationsverpflichtungen. Wenn man Güter gemeinsam benutzt, dann ergeben sich Nutzungspläne, dann braucht es Regeln und Absprachen. Mit dem Auto kann ich von einem Moment auf den andern losfahren, mit dem ÖV muss ich zuerst den Fahrplan konsultieren (dafür gibt’s aber inzwischen gute Handy-Apps). Da Kooperation am Arbeitsplatz als Zwang erfahren wird, fällt es schwer nun am Feierabend plötzlich freiwillig kooperieren zu sollen. Doch wenn die Umstellung auf diese kommunikativere, kooperativere Lebensweise einmal geschafft ist, wird man sie schnell als Gewinn an Lebensfreude empfinden. Menschen sind ja nicht nur eine Belastung, es macht auch Spass Dinge gemeinsam zu tun, vor allem, wenn sie sinnvoll und lebenswichtig sind.

Es braucht etwas Phantasie und Selbstvertrauen, wenn man sich aus den Zwängen der Wachstumsgesellschaft befreien will. Es genügt nicht, etwas mehr I und X zu machen und C zu reduzieren. Die Sache wird uns auf den Pelz rücken.

Literatur

  • Alperovitz, Gar, What Then Must We Do?: Straight Talk about the Next American Revolution, 2013
  • Bollier, David, Think Like A Commoner, 2014
  • Daly, Herman, Steady State Economics, 1977
  • Harvey, David, The Enigma of Capital, 2010
  • Haug, Frigga, Die Vier-in-Einem-Perspektive, 2012
  • Hochstrasser, Franz, Konsumismus, 2013
  • Jackson, Tim, Wohlstand ohne Wachstum, 2011
  • Kahneman, Daniel, Thinking Fast and Slow, 2011
  • Klein, Naomi, This Changes Everything, 2014
  • Löpfe; Vontobel, Wirtschaft boomt, Gesellschaft kaputt, 2014
  • P.M., «The Power of Neighborhood» and the Commons, Autonomedia, 2014
  • Schor, Juliet, Plenitude, 2013
  • Seidl, Irmi; Zahrnt, Angelika, Postwachstumsgesellschaft, 2010.
  • Wilkinson; Pickett, The Spirit Level, 2010

Anmerkungen

  1. David Harvey (The Enigma of Capital, 2010) geht auf Grund von Langzeitanalysen davon aus, dass der Kapitalismus im Schnitt 3 % Wachstum pro Jahr braucht um zu überleben.
  2. Oder Hongkong.
  3. Um hier nur einen oft erwähnten Indikator für den Ressourcenverbrauch und die Umweltbelastung zu nennen.
  4. Gemäss einer Formel für das Bruttoinlandprodukt, BIP: E = C + G + I + X (E = Endverwertung, Ausgaben; C = Konsumausgaben; G = Staatsausgaben; I = Bruttoinvestitionen; X = Nettoexporte) S. 133; Wohlstand ohne Wachstum, 2011
  5. Dass der Konsum der zentrale Wachstumstreiber ist, wurde selbstverständlich von vielen anderen Autoren auch schon festgestellt, so etwa von Inge Ropke, Konsum: der Kern des Wachstumsmotors; in: Seidl, Irmi; Angelika Zahrnt, Postwachstumsgesellschaft, 2010. Oder: Franz Hochstrasser, Konsumismus, 2014
  6. Steady State Economics, 1977
  7. Der wirtschaftliche Druck ist unmenschlich für alle, auch die Reichen. Siehe: Wilkinson, Pickett, The Spirit Level, 2010. Ungleichheit macht alle unglücklich, inklusive die Reichen.
  8. Gemäss Krugman handelt es sich eigentlich um 01 %, die 40 % aller Assets besitzen. INYT, 30.9.2014, S.7
  9. Siehe: die Analysen von Adam Smith, Karl Marx oder Robert Kurz.
  10. Die Funktion des Kapitalismus als Lösungsmittel hat natürlich ihre historischen Verdienste: er hat auch verkrustete patriarchalische, aristokratische, willkürliche Strukturen aufgelöst (siehe:Kommunistisches Manifest). In gewissen Weltregionen hat er noch heute diese Funktion. Die aktuelle Frage ist also: gibt es nicht-marktwirtschaftliche Methoden um traditionell-patriarchalische Strukturen aufzulösen?
  11. Es gibt nicht nur «Ernährungssouveränität». Vgl. auch: Franz Hochstrasse, Konsumismus, 2013
  12. Die Unterscheidung von growth und development lag schon Herman Daly am Herzen. Man kann sich entwickeln ohne zu wachsen. So ab 21 versuchen es die meisten von uns.
  13. Naomi Klein beschreibt in ihrem neusten Buch sehr schön, wie die US-Rechte den antikapitalistischen Braten der Öko-Bewegungen gerochen hat. This Changes Everything, 2014.
  14. Die Lebensmittel machen heute zwar nur um die 7 % unserer Haushaltausgaben aus, aber die Umweltbelastung durch Ernährung beträgt 28 % und ist damit bei weitem der grösste Einzelposten, noch vor dem Wohnen.
  15. Ich habe dieses Modul Nachbarschaft genannt und beschrieben, welche Grösse und welche Funktionen es haben könnte. Siehe: The Power of Neighborhood und die Commons, 2013. Weitere Module sind: das Quartier, die Region (mit Grossstadt), das Territorium, der Subkontinent, der Planet. Den Zusammenhang zwischen Demokratie und Ernährung unterstreicht auch ein neuer Bericht der UNO: «[10 March 2014] GENÈVE – Le Rapporteur spécial des Nations Unies sur le droit à l’alimentation, Olivier De Schutter, a appelé aujourd’hui à une réforme des systèmes alimentaires mondiaux et à leur démocratisation, afin de garantir le droit de l’homme à une alimentation adéquate et de progresser vers l'éradication de la faim.»
    www.srfood.org/...
  16. The New York Times International Weekly, Greeks Survive by Cutting Out the Middlemen, Tages-Anzeiger, 17.2.2014, S.5 : «It is a small link in a chain of ventures to create a parallel «social» economy, starting with what became known as the «potato revolution», a now nationwide movement that has slashed the price of patatoes by getting farmers to sell directly to customers.»
  17. Dass wir keinen grossartigen nächsten –ismus vorschlagen können, sondern nur ein relativ vorsichtiges Szenario, mag für einige etwas enttäuschend sein. Wo bleibt die Begeisterung? Doch Begeisterung schadet eher beim Denken über wirkliche Lösungen, Liebe zum Detail und Vorsicht sind besser.
  18. Die bösen Geister des himmlischen Bereichs, 2011; S. 324
  19. Schumpeter hielt das Ende des Kapitalismus für unvermeidlich.
  20. «Kapitalismus ist nur schlecht gemanagter Kommunismus.» David Graeber
  21. Kooperative Alltagsmodule haben auch ein grosses Potential für die Gesundheitserhaltung und nicht-monetäre Pflegearbeit, d.h. neue Altersversorgungssysteme, die weniger auf Umlage- oder Kapitalverfahren basieren. Erlebtes gesellschaftliches Dazugehören allein ist schon ein Gesundheitsfaktor. Kahneman, Daniel, Thinking Fast and Slow, 2011S. 394; am glücklichsten macht gemäss Kahneman «ein mit Freunden verbrachter Tag».
  22. Offiziell gibt es in der Schweiz nur 7,6 % Arme (BfS, 2014).
  23. In erster Linie die Nationalbank und die Kantonalbanken, aber auch genossenschaftliche Banken, wie die Raiffeisenbank. Aber auch UBS und CS könnten ja eine neue Rolle finden.
  24. Möglich ist auch eine Mischform, was aber alles etwas komplexer macht.
  25. Wie Löpfe/Vontobel (2014) oder Frigga Haug (2012) schlage ich die 20-Stundenwoche vor.

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